Voller neuer Eindrücke und noch immer entzückt von der Stadt ging auch der zweite Festivaltag für mich zu Ende. Charlize Theron und Tom Hardy gaben gerade ihre Pressekonferenz zu Mad Max: Fury Road, als ich auf dem Festivalgelände eintraf. Dementsprechend sehen auch die Schnappschüsse der beiden Stars aus.
Heute standen drei Filme auf dem Programm. Der Tag begann mit dem rumänischen Film Un Etaj Mai Jos (übersetzt so viel wie ein Stockwerk tiefer), der in der Kategorie „Un Certain Regard“ lief.
Die Ambitionen des Regisseurs Radu Muntean wurden mir bis zum Schluss nicht ersichtlich, denn dieser Beitrag war der wohl langweiligste Film aller Zeiten. 93 Minuten lang passiert solide gesagt einfach gar nichts.
Hauptdarsteller Patrascu (Teodor Corban) wird einziger Zeuge eines Streits zweier Nachbarn, der in einem Mord endet und statt den Verdacht der Polizei zu melden, hält er sich aus allem heraus.
Gerade der vermeintliche Mörder sucht danach verstärkt Kontakt zu Patrascu und seiner Familie. Was hier auf einen spannenden Psychothriller hindeutet, ist letztendlich eine Aneinanderreihung langatmiger Szenen, in denen der Protagonist sein Desinteresse zur seiner Welt sowie seine mangelnde Courage an den Tag legt. Der Regisseur hat wohl auch seine Kreativität ein Stockwerk zu weit unten gelassen.
Deutlich mitreißender wurde es mit dem ungarischen Wettbewerbsfilm Saul Fia (Son of Saul), einem selten beklemmenden Film, der einen KZ-Häftling etwa einen Tag lang begleitet, wie er seiner Arbeit im Sonderkommando nachgeht und dem Schrecken und der Gewalt der Nazis ausgesetzt ist.
Er macht es sich zum Ziel einen ermordeten Jungen, in dem er seinen Sohn zu erkennen glaubt, zu begraben, koste es was es wolle. Der Film wirkt so klaustrophobisch verstörend, da die Kamera in zahlreichen sehr langen Einstellungen immer nah am Protagonisten ist und die Schreckenstaten der SS-Offiziere sowie die Massenmorde an den Juden eindringlich und unangenehm nah auf die Kinoleinwand bringt. Allein für die Kameraführung hätte der Film die Goldene Palme verdient.
Zum Abschluss sah ich mir den Eröffnungsfilm der Reihe „Un certain Regard“ an: An von Regisseurin Naomi Kawase, die bei den Filmfestspielen von Cannes schon ein alter Hase ist. 1996 gewann sie für ihren Debütfilm Moe no Suzaku die Goldene Kamera, eine Auszeichnung für den besten Erstlingsfilm in Cannes. Seitdem liefen vier ihrer Filme im Wettbewerb, ihr Spielfilm Der Wald der Trauer gewann 2007 den Großen Preis der Jury und vor zwei Jahren war sie Teil der Wettbewerbsjury.
Mit ihrem gesamten Filmteam leitete sie den Abend ein und verfilmte mit An die rührende Geschichte um die Köchin Tokue nach dem Roman-Bestseller von Durian Sukegawa. Als sie vom depressiven Imbiss-Besitzer Sentaro eingestellt wird, um bei der Zubereitung der in Japan als An bezeichneten Süßwaren zu helfen, stellt sie dessen Weltbild gewaltig auf den Kopf.
Kawase schaffte einen ebenso traurigen wie schönen Film über Vorurteile, Freundschaft und die Schönheit und das Geheimnis des Lebens, der mit einer grandiosen Hauptdarstellerin glänzt.
Un certain Regard ist die wichtigste Parallelreihe des Festivals, von der 19 Filme auf dem Programm stehen. Die Jury unter Präsidentin Isabella Rossellini, war bei der Premiere von An ebenfalls vor Ort und gab in kurzen Sequenzen einen Vorgeschmack auf die übrigen Festivalbeiträge.
Alle drei Filme liefen im großen Salle Debussy, von dem ihr euch auf dem Foto einen Eindruck machen könnt. Zwischen all dem Filmen gönnte ich mir auch ein bisschen Frischluft mit einen tollen Blick von der Notre-Dame-de-l’Espérance über Cannes und das Festivalgelände.
Morgen gibt’s dann hoffentlich wieder ein paar Stars und gelungene Filmbeiträge! À bientôt!