Dororo (2019) | Kritik

Dororo

Fans von Anime und Manga sollten alle eigentlich einen Namen kennen – Osamu Tezuka. Der Mangaka wird aufgrund seiner Verdienste für die Entwicklung der Mangas und Animes in der japanischen Nachkriegszeit nicht ohne Grund als Gott des Manga bezeichnet.

Aus seiner Feder stammen weltweit bekannte Werke wie Astro Boy (1952 – 1968), Kimba, der weiße Löwe (1950 – 1954) oder Black Jack (1973 – 1983). Nachdem Mitte der 60er Jahre die Gekiga (Graphic Novel) immer stärker an Popularität in Japan gewannen, musste auch Tezuka feststellen, dass seine an Kinder gerichteten Manga nicht mehr gefragt waren. Das Resultat einer Neuorientierung waren dann ungewöhnliche Geschichten mit komplexen Handlungsverläufen, düsteren Themen und vielen stilistischen Brüchen.

Dororo war ursprünglich kein Erfolg vergönnt

Eine dieser Geschichten ist Dororo, welche als Manga in den Jahren 1967 – 1969 erschien. Obwohl der Manga die zu dieser Zeit beliebten Yōkai (Dämonen) als elementares Element aufnahm, wurde die Serie 1969 abgesetzt. Auch ein im selben Jahr erschienener Anime konnte diesem Schicksal nicht entgegenwirken.

© Animoon Publishing

Seuchen, Missernten und Kriege verwüsten das Reich Daigo. Um sein Volk zu retten, geht Fürst Kagemitsu Daigo einen Pakt mit zwölf Teufelsgöttern ein und verspricht ihnen, als Gegenleistung für Wohlstand und Reichtum seines Landes, seinen erstgeborenen Sohn.

Als dem Fürsten endlich ein Erbe geboren wird, fordern die Dämonen ihren Tribut und der frisch geborene Sohn kommt ohne Gliedmaßen, Haut, Augen, Mund oder Nase zur Welt. Die Hebamme soll den elendigen Rest entsorgen, doch spürt den Lebenswillen des Säuglings und überlässt ihn seinem Schicksal.

Von einem Mediziner gerettet und aufgezogen, stattet dieser ihn mit Prothesen aus und lehrt ihn im Umgang mit dem Schwert. Schon bald zieht der junge Hyakkimaro los, auf der Suche nach den Dämonen, welche ihm seiner Körperteile beraubt haben. Denn mit jedem erschlagenen Monster erhält er einen Teil seines Körpers zurück. Doch auf seiner Suche trifft er überraschend auf das Waisenkind Dororo, welches ihn fortan bei seinem Kampf gegen die dämonischen Mächte begleitet.

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Das japanisches Animations-Studio MAPPA, welches vom Filmproduzenten und früherem Gründer des Studio Madhouse, Masao Maruyama, gegründet wurde, veröffentlichte 2019 die Neuauflage des bekannten Dark-Fantasy-Mangas Dororo, welches exklusiv auf Amazon Prime Video gestreamt wird. Bereits 2018 ging das Studio für die Anima-Adaption des Mangas Banana Fish eine exklusive Partnerschaft mit Amazon ein.

Anime vs. Manga

Dabei unterscheidet sich das Anime von 2019 in wesentlichen Punkten von seinem Vorgänger aus dem Jahr 1969 und auch von der Manga-Vorlage, folgt aber weiterhin der Grundprämisse des Ausgangsmaterials. So wird Hyakkimaru im Manga deutlich mutiger, selbstbewusster und sachkundiger dargestellt. Im Anime von 2019 dagegen fehlt ihm die Fähigkeit der Telepathie, weshalb er anfangs sehr viel unbeholfener auf seine Umgebung und andere Menschen reagiert. Erst durch seine Begegnung mit dem Waisenkind Dororo kann er sich langsam immer mehr gegenüber der Welt öffnen.

Aber auch Dororo wirkt im Vergleich zur Vorlage deutlich entspannter, fürsorglicher und nachdenklicher, während dieser im Manga als kindischer und unhöflicher Unruhestifter porträtiert wird. Auch die große Offenbarung, die das eigentliche Ende des Mangas ausmacht, wird in der neuen Adaption bereits in der neunten von insgesamt vierundzwanzig Episoden enthüllt.

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Diesen Änderungen liegt wohl auch zugrunde, dass Osamu Tezuka für den Manga ursprünglich deutlich andere Pläne hatte. Eigentlich sollte das Manga eine Coming-of-Age Geschichte des Hauptcharakters Dororo erzählen. Durch die frühzeitige Absetzung der Serie setzt die Handlung jedoch Hyakkimaru und seine Suche nach seinen fehlenden Körperteilen in den Vordergrund, weshalb beispielsweise auch das Anime aus dem Jahre 1969 ab der vierzehnten Episode in Dororo to Hyakkimaru umbenannt wurde.

Während die erste Anime-Adaption noch mit der vorlagengerechten Darstellung von Gewalt, Blut und Mord haderte, übernimmt das 2019 erschienene Anime all diese Elemente in einer teilweise schon Splatter-mäßigen Darstellung. Für Kinder oder Personen mit seichten Nerven ist diese extreme Darstellung von Gewalt mit Sicherheit nicht zu empfehlen.

Gewalt als wichtiges Element der Handlung

Doch gerade diese für manchen Zuschauer übermäßige Darstellung von Mord und Totschlag lässt die Entwicklung Hyakkimarus deutlich einfacher verfolgen. Je mehr Körperteile er den Dämonen entreißen kann und je näher er seinem Ziel der Vollkommenheit kommt, desto stärker nimmt seine Wut und sein Hass auf sein Schicksal und seine Verursacher zu. Und dies äußert sich auch immer deutlicher in den dargestellten Kampfszenen.

Dabei beginnt die Geschichte mit einer überaus interessanten Prämisse, welche sich jedoch im Laufe des Anime immer stärker verlagert. Mir persönlich gefielen die ersten Episoden mit einem sozial rückständigen Hyakkimaru, welcher auf die Hilfe Dororos bezüglich menschlicher Emotionen angewiesen ist, deutlich besser als der Mittelteil der Geschichte. Erst als die Handlung sich dem Finale nähert und die Gefühle Hyakkimarus wieder stärker in den Fokus geraten, nimmt das Anime abermals deutlich an Fahrt und Entwicklung auf.

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Die große Mittelteil verbringt leider seinen Großteil mit der Entwicklung der Charaktere und ihren Beweggründen. Diese sind für den Verlauf der Handlung zwar überaus wichtig und lassen den Zuschauer auch die Handlungen der Charaktere besser verstehen, tragen aber wenig zur Unterhaltung bei und können teils sogar in Langeweile ausarten.

Diesen Misstand erkennt man auch an den Animationen und dem Charakterdesign, welche in ihrer Qualität stark schwanken. Während die Action-Szenen erstaunlich sauber animiert sind und den Zuschauer jeden Schwerthieb und jede Wunde am eigenen Körper spüren lassen, gehen bei den Charakteren die Details in anderen Szenen komplett verloren. Sobald sich das Geschehen nicht mehr nur auf wenige Personen beschränkt, fehlen plötzlich jegliche Charakterzüge und wenn Charaktere aus einiger Entfernung darstellt werden, sind es meist nur noch dicke Farbkleckse vor dem Hintergrund.

Ungewöhnlicher Zeichenstil

Die Hintergrundzeichnungen machen Dororo dagegen wieder deutlich interessanter. Die Art und der Stil dieser Zeichnungen erinnert stark an Aquarell-Kunstwerke bekannter, historischer japanischer Kunstwerke. Und gerade basierend auf dieser einzigartigen Gestaltung wirken die teils schlampigen Charakter-Details umso verstörender und lenken ab und an sogar von den Geschehnissen ab.

[asa film_right]B0851MB6QJ[/asa]Dororo ist die Geschichte von Hyakkimarus Rache und folgt immer eine simplen Fragestellung: Ist das Schicksal einer einzelnen Person wichtiger als das Wohl einer ganzen Nation? Wer sich auf die Reise mit Hyakkimaru und Dororo begibt, wird sich selbst immer wieder beim Versuch einer Beantwortung dieser Frage erwischen. Dieses Abenteuer weiß über weite Strecken zu überzeugen, hat aber auch einige Stolpersteine auf seinem Weg parat. Es liegt dann an einem selbst, ob er diesen auszuweichen weiß oder ob er an ihnen hängenbleibt.

Die Sengoku-Zeit, also das Zeitalter der kriegführenden Lande, war eines der bewegtesten Zeitalter in der japanischen Geschichte. Das Anime Dororo spiegelt diese kriegerische Epoche ausgezeichnet wieder und lässt den gewillten Zuschauer diesen bewegenden Zeitabschnitt durch Osamu Tezukas Interpretation am eigenen Leib erfahren. Auch wenn der Mangaka eigentlich eine andere Vision verfolgte, darf man Dororo ruhig als Glanzstück seiner Zeit bezeichnen, welches vielen späteren Manga als Vorbild diente und noch heute dient.

Bei Animoon Publishing erschien im März 2020 Dororo – Vol. 1 als Limited Mediabook mit Sammelschuber und Daigo-Beutel.

Handlung:

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