Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes (2017) | Filmkritik

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes

Abseits des Mainstream-Kinos, in welchem vergnügt Popcorn verschlungen und zur Männer-Preview ein kühles Bier serviert wird, existieren die Festival-Filme, die oftmals ihre Zuschauerschaft fordern, teils philosophisch bewegen und in ihrer Machart meist minimalistisch scheinen. In eben diese Kategorie lässt sich wohl auch das Werk Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes von Regisseur Julian Radlmaier einordnen, der mit dem 99 Minütigem Farbfilm seinen Abschluss an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin absolvierte und auf der Berlinale 2017 präsentiert wurde.

Bekanntermaßen muss ein Film nicht immer ein hohes Budget, namhafte Schauspieler oder gar Oscar-Preisträger hinter der Technik besitzen, um einen Betrachter in seinen Bann zu ziehen. Oftmals sind es einfache Mittel und bewegende Geschichten, die uns an die Leinwand binden und erst nach Ende der Credits wieder in den Alltag loslassen. Der Hintergrund zu Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes beginnt mit einer einfachen Thematik.

© Grandfilm

Julian lässt sich äußerlich wohl als moderner Hipster Berlins bezeichnen. Er lebt in der Hauptstadt Deutschlands und verdient sich mehr oder weniger als Drehbuchautor und Filmschaffender sein Gehalt. Der finanzielle Erfolg wollte bislang aber noch nicht so wirklich gelingen.

Auch in der Liebe sieht es alles andere als rosig aus. Als er die junge Kanadierin Camille trifft, setzt er jedoch alles daran diese im Sturm zu erobern und bietet ihr kurzerhand die Hauptrolle in seinem neuesten Werk an. Das Missgeschick: Julian hat noch nicht einmal ein Drehbuch und verstrickt sich in seinen Lügen. Für die Recherche seines kommunistischen Märchenfilm möchte er daher als Erntehelfer auf einer Plantage arbeiten. Und ohne langes hin und her entschließt sich Camille ihn bei diesem Unterfangen zu begleiten.

Fortan steht jedoch keineswegs ein gemütliches Apfelpflücken im Sonnenschein an. Der liebestolle Regisseur und seine Muse landen in einem ausbeuterischen Betrieb, wo sie zudem Hong und Sancho, zwei wundergläubige Proletarier auf der Suche nach dem Glück, kennenlernen. Für Julian beginnt eine Recherche der ganz besonderen Art, bei welcher er zunehmen an seine Grenzen kommt und ebenfalls mit dem Vorzeigearbeiter Zurab aneinander gerät, der für so allerlei Ärger sorgt. Als plötzlich auch noch ein Mönch auf der Matte steht, scheint der kommunistische Film vollkommen zu scheitern.

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Aber Julian hat noch einen letzten Plan, um sein Vorhaben zu retten. Schafft er es sein filmisches Schaffen fortzusetzen oder muss er den Schwanz einziehen und sich sein Scheitern eingestehen?

Julian Radlmaier tritt in diesem Film nicht nur als Hauptdarsteller in Erscheinung, sondern übernahm auch den Posten des Regisseurs und Drehbuchautors. Von manchen Medien schon als „deutscher Woody Allen“ (Deutschland Radio Kultur) betitelt, kann man dem Filmschaffenden keinesfalls Faulheit vorwerfen. Jedoch muss man offen ansprechen, dass sich der junge Filmemacher mit deutsch-französisch-schweizerischen Wurzeln etwas viel Last auf die eigenen Schultern gelegt hat.

Beginnend mit der Gestaltung und technischen Umsetzung des Films muss man ebenfalls ankreiden, dass selten so ein statisches Werk produziert wurde. In jeder Szene hat die Kamera ihren festen Platz gefunden und verlässt diesen auch nur in den seltensten Fällen. Dynamische und bewegungsreiche Fahrten oder dergleichen sind nicht existent, was oftmals dazu dient die Motivation und das Handeln der Figuren zu untermauern, aber noch stärker eine ermüdende Wirkung mit sich bringt, die die relativ geringe Laufzeit des Films ins schier unermessliche streckt.

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Schauspielerisch enttarnt man das Ensemble schnell als Laien, Freunde und Familie mussten für diverse Rollen herhalten. Doch hierbei muss man dies nicht als negativen Aspekt auflisten. Dadurch, dass fast jeder der Schauspieler seinen realen Namen behalten durfte und die emotionalen Momente nicht allzu zahlreich gestreut sind, wirkt das Schauspiel der Figuren überwiegend locker und authentisch. Julian Radlmaier als wirrer Regisseur ohne allzu viel Glück, Kyung-Taek Lie als rüstiger Rentner Hong oder Zurab Rtveliasvili als übermotivierter Plantagenarbeiter liefern eine solide Leistung ab. Einzig das Auftreten des Mönches (Ilia Korkashvili), der ausschließlich über Gestik und Mimik mit seinen Wegbegleitern kommuniziert, wirkt deutlich überspitzt und unangebracht im Gesamtwerk.

Was den Inhalt des Filmes angeht spielt die grobe Rahmenhandlung an nur wenigen Schauplätzen. Nach dem modernen Berlin geht es auf die Apfelplantage und abschließend beginnt eine Selbstfindungs-Pilgerreise nach Italien. Abseits der gezeigten Bilder behandelt der Film die Selbstkritik an der bourgeoisen Existenz und am Möchtegern oder Diskurs-Kommunismus.

Das utopische Potenzial meines fiktionalen Alter Egos beschränkt sich auf eine – letztlich substanzlose – romantische Projektion. Sein Glücksstreben ist vollkommen individualisiert. Sein politisches Bewusstsein tendiert deshalb dazu, nur noch der Distinktion im narzisstischen Konkurrenzkampf zu dienen. Es geht aber nicht darum, den „Liebeswunsch“ gänzlich lächerlich zu machen zu Gunsten einer höheren politischen Wahrheit, sondern eher darum, die Frage nach der Möglichkeit politischen Subjektivierung inmitten der unrühmlichen affektiven Alltagsverstrickungen derer zu stellen, die da subjektiviert werden sollen: Kann ein im neoliberalen Kapitalismus sozialisiertes, bürgerliches Subjekt die „Gesellschaft von Gleichen“ wirklich begehren?

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes präsentiert sich als tiefsinniges Kunstwerk, was sicherlich auf mancher Ebene nicht zu bestreitet ist und Allrounder Julian Radlmaier wird viel Denkarbeit und Mühe in sein Werk gesteckt haben. Seine verarbeitete Selbstkritik muss aber auch offen für externe Kritik sein und an dieser Stelle muss man sagen, dass der Film als Komödie nur zu Teilen funktioniert und gerade beim Spannungsbogen der Erzählstruktur seine Makel offenbart, kurz gesagt: Er ist anstrengend.

Ein Studentenfilm im Deckmantel einer Festivalperle, der mit Sicherheit sein Publikum hat und ebenso das Potenzial Julian Radlmaiers kann man nicht unerwähnt lassen. Für zukünftige Werke darf man trotzdem auf mehr Beachtung des Unterhaltungswertes hoffen, in welchem subtiler und cleverer die intelligenten Gedankengänge des Regisseurs und Autors verarbeitet werden.

Regie: Julian Radlmaier
Drehbuch: Julian Radlmaier
Darsteller: Julian Radlmaier, Deragh Campbell, Beniamin Forthi, Kyung-Taek Lie, Ilia Korkashvili, Johanna Orsini-Rosenberg, Zurab Rtveliasvili

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