Kubo – Der tapfere Samurai (2016) | Filmkritik

Kubo - Der tapfere Samurai

Nachdem der Rolltext des Abspanns von Kubo – Der tapfere Samurai (Originaltitel: Kubo and the Two Strings) durchgelaufen ist, stellt sich Freude und Resignation gleichermaßen ein. Freude über so Vieles, was gerade erlebt wurde und Resignation, weil so gut wie niemand da ist, mit dem man diese Freude teilen könnte, denn während dieses Werk des amerikanischen Animationsstudios Laika gerade erst vor einem Monat für zwei Oscars (Bester Animationsfilm, Beste visuelle Effekte) nominiert war und die US-Kritik es mit einem Reigen aus Lob ehrte, fristete es hierzulande ein trauriges Schattendasein.

Wie so oft bei etwas speziellen, aber grandiosen Filmen brachte kaum jemand den Mut auf, ihn zu promoten, sodass er in unzähligen Städten keinen einzigen Tag auf dem Kinoprogramm stand. Deutschlandweit spielte er deswegen nur klägliche 279.288 Euro ein. Zum Vergleich: Die austauschbaren Thriller-Enttäuschung Girl On The Train lief am selben Tag wie Kubo an und spielte das 16fache an Geld ein, während es dem visuell schmucken, aber sonst allenfalls passablen Marvel-Blockbuster Doctor Strange – ebenfalls Kinostart: 27.10.2016 – sogar gelang 62 Mal so viel an deutschen Kassen einzuheimsen.

Dabei schaut sich die Geschichte rund um Kubo von vornherein wie ein mitreißendes Märchen. Doch nicht wie ein modernes, sondern wie eines aus einer verklärten und weit zurückliegenden Vorzeit. Mindestens einmal während des Films ist man tatsächlich versucht, ihm einen Platz in der fernöstlichen Mystik zu attestieren. Problemlos könnte hinter Kubos Geschichte beispielsweise eine jahrhundertealte Gründungslegende der Shamisen stecken, die nichts weiter ist als das berühmte, gitarrenähnliche Instrument mit drei Saiten, das im Film selbst eine unerlässliche Rolle spielt. In Wirklichkeit stimmt nichts dergleichen. Kubo ist einfach nur eine originelle Geschichte unserer Zeit, wie sie leider selten auf der großen Leinwand läuft, obwohl sie dort wohl viel eher hingehört, als so mancher Quotenkrachen.

Kubo, der Traumtänzer mit Augenklappe, ist in seinem beschaulichen Dorf bereits als kleiner Kerl ein echtes Original. Er verdingt sich dort Tag für Tag als Geschichtenerzähler auf dem Markplatz. Mit dem Klang seiner Shamisen erweckt er buntes Papier zum Leben – er ist sozusagen der beste Origami-Künstler, den die Welt je sah – und erzählt damit Legenden zwischen Licht und Finsternis, von denen die Leute nicht genug bekommen. Dabei hören sie nur selten ein befriedigendes Ende, denn Kubo verschwindet stets kurz vor Sonnenaufgang in Windeseile.

Er darf nicht länger draußen bleiben. Obwohl seine Mutter allmählich dement wird, weiß sie nämlich eines noch ganz genau. Ihr Sohn darf im Mondschein nicht allein unterwegs sein. Am besten sitzt er neben ihr in der gemeinsamen Höhle, fernab von allen anderen Menschen, aber auch in Sicherheit vor den Dämonen der Vergangenheit. Doch Kinder tun bekanntlich nicht immer nur das, was sie sollen. Und als eines Tages Kubo die Regeln seiner Mutter überstrapaziert, nimmt ein Abenteuer seinen Lauf.

Kurzum: Der vierte Film aus dem Hause Laika ist ein Meisterwerk. Bereits in den ersten Sekunden ist das zu spüren, wenn die liebevolle Stop-Motion-Technik einen umgehend ins Staunen versetzt, das während der nächsten 98 Minuten niemals nachlassen soll. Stop-Motion ist eine Variante der Animation, die schon so alt ist wie der Film selbst.

Verschiedenste Miniaturen werden immer wieder Schritt für Schritt bewegt und in jeder ihrer Bewegungen gefilmt oder fotografiert. Im Falle von Kubo – Der tapfere Samurai sprechen wir beispielsweise von unfassbaren 23.187 Gesichtsausdrücken nur für die Figur des Helden, die immer wieder ausgetauscht werden. Außerdem schuf Laika unter der Schirmherrschaft des Regisseurs Travis Knight die bisher größte Stop-Motion-Puppe, die es je gab: Ein vollbeweglicher grüner Skelettkrieger, der 6 Meter misst. Darüber hinaus ist das sogenannte Mondmonster die erste vollkommen vom 3D-Drucker angefertigte Miniatur.

Auch die Schauplätze sind größtenteils handgearbeitete Sets, in denen sich das Auge verlieren kann. In nichts – und das sollte betont werden –, in rein gar nichts steht dieser Animationsstreifen einem Live-Action-Film in Schönheit und Epik seiner Aufnahmen nach. Die Landschaften versprühen eine ansteckende Ästhetik, die durch die Handwerkskunst hinter dem Film unverwechselbar wie ein Fingerabdruck wirkt. Fünf Jahre Arbeit haben sich mehr als gelohnt. Umso bewundernswerter, wie aus diesem Mammutprojekt ein so feiner und feinfühliger Film werden konnte.

Denn Kubo – Der tapfere Samurai schlägt viele Töne an, manche lauter, andere leiser, wieder andere kaum hörbar und doch so wichtig – wie beim Spiel einer Shamisen eben. Wenn der kleine Kubo seine Origami-Figürchen gegeneinander antreten lässt, wird schon früh klar, dass hier gerade aufschimmert, welch eine Kunst das Geschichtenerzählen doch ist. Nur im Zusammenspiel aus Aktion, Tiefgang, Musik und Farbe ergibt sich ein perfektes Ganzes.

Ein kleiner Missklang hat sich allerdings eingeschlichen. Während Kubos Reise von einer Schneewüste, über tropische Wälder und dunkle Höhlen, bis auf hohe See führt und seine Magie stetige Veränderung hervorruft, macht der kleine Samurai selbst kaum eine Wandlung durch. Er stößt zwar immer wieder auf neue Mysterien und entschlüsselt so manches Geheimnis seiner Vergangenheit, was die Handlung für den Helden und die Zuschauer gleichermaßen zu einer spannenden Entdeckungstour macht. Aber dennoch scheint Kubo von Beginn an ebenjener tapfere Samurai zu sein, als den der Titel des Filmes ihn ausschreibt.

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Er ist stets stark, hochbegabt, unverbesserlich vom Guten in sich überzeugt und rein in seiner Motivation, also ein klassischer und eindeutiger Märchenheld. Zwar trauert er auf seinem Weg und trägt natürlich die eine oder andere Narbe aus der Schlacht, doch er kommt niemals an einen Punkt, wo seine Loyalität ernsthaft ins Wanken gerät, oder der Zweifel droht, ihn zu besiegen.

Mag sich hierin auch der Trotz und Optimismus eines Kindes treffsicher wiederspiegeln, so bleibt andererseits die Frage zurück, ob eine Spur mehr Ambivalenz Kubo nicht zu einem noch besseren Helden gemacht hätte. Denn das ist er zweifellos. Gerade auf der inhaltlichen Ebene bereitet es eine melancholische Freude mitanzusehen, wie Kubo seine Vergangenheit nach und nach entdeckt. Der Streifen scheut sich dabei nicht, die ganz großen Themen anzusprechen wie Vergänglichkeit, Sterben und das Andenken an die Toten. Währenddessen stets zu Kubos Linken und Rechten: der Samurai Beetle, der als Comic Relief ausgezeichnet funktioniert und die Affendame Monkey, die mindestens eine genauso gute Actionheldin ist wie Charlize Theron, die sie in der amerikanischen Originalversion sychronisierte.

Und so muss der Film vor keinem Vergleich mit Giganten der Leinwandgeschichte zurückschrecken. Die Bandbreite der Kreativität, die jeden Moment spürbar ist, erinnert an ein anderes Meisterstück des Animationsfilms, nämlich an Hayao Miyazakis Chihiros Reise ins Zauberland. Und die Beschäftigung mit der Machart der Stop-Motion-Technologie versetzt einen zurück an Tage, die man mit nichts sonst verbrachte als mit schierer Faszination für das Bonusmaterial der Herr-der-Ringe-Trilogie.

Kubo – Der tapfere Samurai ist ein Paradebeispiel für die raffinierte Verbindung von Unterhaltung, Kunst und Vielschichtigkeit in einer epischen Erzählung um einen ganz kleinen Helden und seine Shamisen. Das Werk ist ein Muss für jede Zielgruppe und ein schlagfertiger Grund in Zukunft auf den Namen Laika zu achten und das Geld für das Kinoticket aufzubringen. Danke, Kubo: „Deine Geschichte wird nie enden“!

Regie: Travis Knight
Drehbuch: Marc Haimes, Chris Butler
Musik: Dario Marianelli
Darsteller: Charlize Theron, Art Parkinson, Ralph Fiennes, Rooney Mara, George Takei, Matthew McConaughey

Handlung:

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