T2 Trainspotting (2017) | Filmkritik

T2 Trainspotting

Der Film Trainspotting (1996) zählt zu den bekanntesten Filmen der 1990er Jahre. Nach der gleichnamigen Romanvorlage von Irvine Welsh erschaffte das „Goldene Trio“ aus Regisseur Danny Boyle, Drehbuchautor John Hodge und Produzenten Andrew Macdonald einen Kultfilm.

Trainspotting erzählt die Geschichte der Mittzwanziger Mark Renton (Ewan McGregor), Spud (Ewen Bremner), Sick Boy (Jonny Lee Miller) und Begbie (Robert Carlyle), deren Leben sich im sozialen Brennpunktviertel von Edinburgh um Drogen und Gewalt dreht. Bis am Ende des Films die vier einen £16.000 Drogendeal abschließen.

Das Geld sollte unter den vier Freunden gleichmäßig aufgeteilt werden, doch Gelegenheit macht Diebe. Mark schnappt sich kurzentschlossen das Geld, verlässt seine Heimat und beginnt ein neues Leben.

Genau dort schließt T2 zwei Jahrzehnte später wieder an. Mark, der die vergangenen zwanzig Jahre in Amsterdam lebte, kehrt nach Edinburgh zurück. Dort trifft er auf seine alten Freunde, die er einst so skrupellos betrogen hat.

Simon, früher bekannt als Sick Boy, will sich an seinem ehemals besten Freund rächen und das Geld zurückholen, um das er damals betrogen wurde. Begbie, der den Großteil seines Erwachsenenlebens im Gefängnis verbracht hat, ist weiterhin eine tickende Zeitbombe. Und Spud? Spud hängt seit zwanzig Jahren in einer Zeitschleife aus Arbeitslosigkeit und Heroin, aus der er endlich ausbrechen will. Neu in der Gruppe ist Simons on and off Freundin Veronika (Anjela Nedyalkova), die mit Prostitution ihr Geld verdient, aber weit mehr auf dem Kasten hat als es anfänglich den Anschien hat.

Simons Vorhaben, einen hochklassigen Sauna-Club zu eröffnen, führt die Truppe wieder zusammen. Doch während vier versuchen als mehr oder weniger seriöse Geschäftsmänner Fuß zu fassen, brennt der frisch aus dem Gefängnis entlassene Begbie auf tödliche Rache.

Lange mussten sich die Fans des zum absoluten Kultfilm aufgestiegenen ersten Teils gedulden bis es endlich wieder hieß: choose life! Regisseur Danny Boyle trommelt das alte Team um Hauptdarsteller Ewan McGregor erneut zusammen. Der Hauptcast meldet sich zurück, wenn auch deutlich gealtert. Die Jungs, für die Trainspotting (1996) einst das Sprungbrett in eine große Karriere bedeutete, sind jetzt gestandene Schauspieler. Doch für ihre Rollen als Junkies und Kriminelle aus Edinburgh feiert man sie noch heute.

Umso wunderlicher ist es, dass es so lange dauerte bis endlich eine Fortsetzung von Trainspotting angekündigt wurde. Je mehr Zeit verstrich, desto höher wurden die Erwartungen an die eventuelle Fortsetzung. Über die Jahre gab es verschiedene Drehbuchentwürfe, die laut Boyle jedoch nie dem Geist des ersten Teils gerecht wurden. Als dann schließlich das zwanzigste Jubiläum von Trainspotting näher rückte, stand für die Filmemacher fest: „Wenn wir es jetzt nicht machen, dann wahrscheinlich nie,“ so Boyle in einem Interview.

John Hodge schrieb ein Drehbuch, welches vage auf Irvine Welshs Trainspotting Fortsetzung Porno (2002) basiert, gleichermaßen aber den Zeitgeist der 2000/10er Jahre einfängt. Nirgends wird das deutlicher als beim upgedateten „Choose Life“ Monolog: „Sag Ja zum Leben, zu Facebook, Twitter, Instagram und hoffe darauf, dass es irgendwo irgendwen kümmert […]“

Fast schon voller Reue und Enttäuschung über sein Leben gibt Renton seinen ganz persönlichen „To be or not to be“ Moment, der zu einem der stärksten und emotionalsten des Films zählt. Nicht nur weil das Original so sehr in unserer Popkultur verankert ist, sondern auch weil er zwischen den Zeilen die Entwicklung unserer Anti-Helden kommentiert.

T2 ist keine Fortsetzung im herkömmlichen Sinne. Auch wenn jahrelang nach einem zweiten Teil des Films gerufen wurde, ist eine Weitererzählung der Geschichte von 1996 gar nicht nötig. Zumindest nicht in Form eines zweistündigen Kinofilms. Was das Publikum und sicher auch die Filmemacher wollten, ist zu sehen wie es unseren jungen Helden von einst heute geht. Ohne viel Drama, ohne neue Abenteuer. Einfach ein Statusbericht alter Freunde.

Und genau das bekommen wir: Danny Boyle versucht nicht den ersten Film zu wiederholen – wohlwissend, dass dies unmöglich wäre. Vielmehr schaut der Film wo Mark Renton und Co heute stehen. Was haben sie aus ihrem Leben gemacht? Haben sie gelernt? Welche Eigenheiten sind geblieben?

Viele der Szenen dienen schlichtweg dazu Zeit mit den Charakteren zu verbringen. Als Zuschauer freut man sich darüber, hat man doch in den vergangenen Jahren selbst zahlreiche Theorien entwickelt wie die Geschichte für die Jungs weiterging. Und genau mit diesem Nostalgieempfinden spielt T2. Es gibt Rückblenden, die Charaktere erinnern sich an früher, bekannte Figuren tauchen auf oder werden erwähnt. Auch bestimmte Bilder aus dem ersten Film werden wiederholt.

„Ihr seid nur aus Nostalgie hier“, ruft Simon an einer Stelle. Zwar zerbricht er damit nicht die vierte Wand, macht sie aber zumindest zu einer dreckigen, verschmierten Glasscheibe. Denn mit der Aussage trifft er nicht nur Mark und Spud, an die der Satz eigentlich gerichtet ist, sondern auch das Publikum fühlt sich ertappt. Denn darum haben wir die Kinokarte gekauft. Nicht um eine neue Geschichte zu hören. Wir sitzen im Kino aus dem selben Grund aus dem wir heute alte Schulfreunde auf Facebook suchen: aus Neugier darüber was aus ihnen so geworden ist.

Die größte Charakterentwicklung macht in der Fortsetzung sicherlich der “Junkie der Herzen” Spud durch. Als dauerhafter Verlierer kommt er in T2 schließlich ganz unten an. Keine Familie, keinen Job, keine Lebenslust. Gerade als er sich entschließt den letzten Ausweg zu nehmen, wird er in letzter Sekunde von Renton gerettet. Der rät ihm seine Sucht mit etwas anderem zu ersetzen. Genau das tut er – er wird die erzählende Stimme im Film. Damit gewinnt er als Charakter viel mehr Tiefe, was auch Schauspieler Ewen Bremner endlich den Platz einräumt, den er verdient.

Stilistisch knüpft T2 nahtlos an den ersten Teil an. Rasante Schnitte, laute Musik, ungewöhnliche und surreale Kameraeinstellungen – alles bekannte Stilmittel, die schon vor zwanzig Jahren zum Erfolg des Films beitrugen. Dazu kommt der gnadenlos ehrliche und sehr schwarze Humor, der in allen von Irvine Welsh’s Romanen den Ton angibt. Grafische und schockierende Szenen sind auch in diesem Film vorhanden, und gekonnt leichtfüßig tänzelt T2 auf der Grenze des guten Geschmacks. Schön anzusehen sind einige Szenen nicht, aber ohne sie wäre es halt auch kein Trainspotting.

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Eine große Herausforderung war sicherlich die Suche nach dem richtigen Soundtrack. In den 90ern profitierte der Film vom allgemeinen kulturellen Aufschwung in Großbritannien. Unter „Cool Britannia“ etablierte sich BritPop mit Bands wie Blur, Oasis oder Pulp. Darauf konnte T2 diesmal nicht zurückgreifen. Aber die schottische Hip-Hop- und Pop-Gruppe Young Fathers fangen laut Boyle die Stimmung des Films ein und sind neben Underworld und Wolf Alice mehrfach auf dem Soundtrack zum Film vertreten. Aufgrund der nostalgischen Stimmung finden aber auch “klassische” Interpreten wie Iggy Pop, The Clash oder Queen ihren Weg in den Film.

T2 ist eine Fortsetzung, die eigentlich keine ist. Für die Filmemacher und für das Publikum ist der Film eine Reise zurück in eine andere Zeit. „Cool Britannia“ ist nur noch eine Erinnerung, „Brexit“ ist das Wort was heute über Großbritannien schwebt. Voller Nostalgie, die aber nie die Grenze zum verklärten Kitsch überschreitet, zeigt T2 wie die Welt sich verändert hat und wie wir uns verändert haben.

Irgendwie hat es Danny Boyle geschafft den Fans genau das zu geben, wovon sie wahrscheinlich selbst lange nicht wussten, dass sie es wollten. Der Film ist persönlicher, was wohl auch daran liegt, dass man sich gegenseitig ja auch irgendwie schon seit zwanzig Jahren kennt.

Regie: Danny Boyle
Drehbuch: John Hodge
Musik: Anthony Dod Mantle
Darsteller: Ewan McGregor, Ewen Bremner, Jonny Lee Miller, Robert Carlyle

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