Wahre Ereignisse haben auf der Kinoleinwand immer einen ganz besonderen Charme. Man fühlt sich schnell erinnert und verbunden mit dem Inhalt, doch gibt es auch eine wichtige Aufgabe, die die Filmschaffenden nicht vergessen dürfen. Mit einem heiklen Thema sollte man sensibel umgehen – besonders wenn es noch so präsente in den Köpfen vieler Menschen ist, wie der Anschlag auf den Boston-Marathon im Jahr 2013, bei welchem drei Menschen getötet und 264 weitere teils schwer verletzt wurden.
Regisseur Peter Berg, seines Zeichens großer Anhänger wahrer Begebenheiten, der zuletzt Deepwater Horizon (2016) und Lone Survivor (2013) drehte, inszeniert mit Boston (Originaltitel: Patriots Day) ein zunächst packendes Stück Erinnerung, welches jedoch im letzten Drittel komplett seine Spur verliert und bei vielen Kinogängern und Beteiligten des Marathons einen mehr als sauren Beigeschmack hinterlassen wird.
Es ist der 15. April 2013, Boston. Wie jedes Jahr zieht es tausende Läufer und Zuschauer aus aller Welt an die Strecke des beliebten Boston Marathon. Doch nachdem bereits einige Läufer die Zielgerade durchquert haben und die Stimmung der Feierlichkeiten ausgelassen ist, durchbricht ein lauter Knall jegliche Freude und lässt nur Stille zurück. Kurz darauf folgt ein zweite Detonation. Es ist unklar, ob noch weitere Explosionen folgen werden.
In dem Gewirr der verzweifelten Menschen und dem aufgewühlten Staub befindet sich Sergeant Tommy Saunders (Mark Wahlberg), der versucht einen klaren Kopf zu bewahren und die ersten Rettungseinsätze zu koordinieren. Doch auch seine Frau (Michelle Monaghan) war an der Zielgeraden, wo die Explosionen stattfanden und er hat noch kein Lebenszeichen von ihr erhalten.
Für die Polizei von Boston und Ermittler des FBI beginnt ein packender Wettlauf gegen die Zeit bei der Puzzlestein für Puzzlestein zusammengesetzt wird und eine der nervenaufreibendsten Großfahndungen in der Geschichte der USA nimmt seinen Lauf.
Wie bereits angesprochen ist es ein gewagtes Unterfangen solch eine bewegende Geschichte auf die Leinwand zu bringen, welche erst wenige Jahre zurückliegt und in den Köpfen noch so präsent ist. Regisseur Peter Berg schafft es jedoch gefühlvoll und Schritt für Schritt den Tag des 15. April einzuläuten und viele wichtige Personen zu etablieren, die an diesem Tag und den folgenden Ereignissen elementare Taten zur Fassung der Terroristen-Brüder Dschochar und Tamerlan Zarnajew beigetragen haben. Eine Figur, die nicht bei den Ereignissen dabei war, ist die fiktive Hauptrolle des Sergeant Tommy Saunders, die von Mark Wahlberg dargestellt wird.
Warum man sich an dieser Stelle dafür entschied einen alkoholsüchtigen Charakter mit Knieverletzung, beides komplett irrelevant für die eigentliche Handlung, einzufügen, der zur richtigen Zeit immer einen entscheidenden Hinweis oder Gedankenblitz einwirft, sei einmal in Frage gestellt. Schauspielerisch liefert Mark Wahlberg an den wichtigen Stellen eine solide Leistung, wobei er sich keinesfalls mit zu viel Ruhm bekleckert. Verstärkung im Film erhält er von Special Agent Richard DesLauriers (Kevin Bacon) und Police Commissioner Ed Davis (John Goodman), sowie Sergeant Jeffrey Pugliese (J.K. Simmons), der zeigt, dass auch klassische Polizeiarbeit zum Ziel führen kann.
Schauspielerisch sind es bei solch einer Thematik vor allem die ruhigen Momente, in denen der Film sein Potenzial entfaltet. Besonders emotional und nah sind die Aufnahmen von Überwachungskameras, die einem die Bilder aus den Nachrichten in Erinnerung rufen, als noch ungewiss war wie die Verfolgung der Attentäter ausgehen wird. All die Anspannung und Schwere, die Boston binnen 60 Minuten aufbauen kann, beginnt dann aber ruckartig zu zerbrechen. Bereits die Einführung des Asiaten Dun Meng (Jimmy O. Yang), der von Dschochar und Tamerlan Zarnajew entführt wird und als Geisel dient, ist fraglich. Als nach seiner Flucht dann aber zahlreiche Klischees und Witze Einzug in den Film erhalten, muss man offen fragen, warum diese Entscheidung getroffen wurde.
Und es bleibt nicht bei diesen Klischees, die unfreiwillig den ein oder anderen Kinobesucher zum Lachen bringen. Es folgen Actionsequenzen, die dem Film nichts bieten außer die Unfähigkeit der Polizei zu demonstrieren und mit flachen Sprüchen gespickt sind. Während J.K. Simmons seinen Partnern versucht das Leben zu retten und Auge in Auge mit einem der Terroristen zusammentrifft, beendet er diesen entscheidenden Moment mit einem lockeren „Ich sollte wohl aufhören zu rauchen“-Spruch.
Und auch Mark Wahlberg begegnet der gesamten Thematik mit Humor, als mehrere Einheiten auf ein Schiff einschießen, in welcher einer der beiden Brüder Deckung gesucht hat. „Dieses Schiff fährt wohl nicht mehr zu Wasser“ ist ebenso unpassend wie noch viele weitere solcher Einlagen.
Sobald sich der Film in seinem letzten Drittel von seiner anfänglichen Machart verabschiedet, sinkt auch die Anspannung der Kinogänger und Boston verkommt zu einem mittelmäßigen Actionstreifen, der mit einer mehr als schnulzigen Rede Wahlbergs endet, in der mehrmals betont wird, dass die Liebe jeglichen Terror besiegen kann. Eine durchaus richtige Botschaft, aber zu gezwungen vortragen nach den finalen Augenblicken des Films.
Boston macht zu Beginn so vieles richtig, nur um einen allzu tiefen Fall zu erleben. Selbst wenn man die Ereignisse und den Ausgang kennt, fiebert man in den ersten Minuten des Films hautnah mit und sitzt Fingernagel kauend in seinem Sessel, während man den Tätern auf der Spur ist. Hätte Peter Berg doch nur sein neuestes Werk auch in dieser Art und Weise zu Ende gebracht, um den Opfern ein würdiges Denkmal zu setzen.
Bildrechte: Kinowelt
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