Paranoia Agent (2004) | Serienkritik

Paranoia Agent

Eine Gesellschaft voller Stress und permanent unter dem Einfluss ihrer Smartphones. Ein verwirrter alter Mann kritzelt eine schier endlose Formel auf den Boden. Ein süßes Kuscheltier blickt in die Kamera. Ein Junge auf goldenen Inline Skates schlägt eine Frau ins Krankenhaus.

Dies sind die ersten Bilder der Anime-Fernsehserie Paranoia Agent aus dem Hause Madhouse. Im Jahr 2004 veröffentlichte das Studio diesen 13-teiligen Psycho-Thriller voller Kritik an der Gesellschaft und düsteren Wendungen.

Alles beginnt mit der Designerin Tsukiko Sagi, die unter dem Erfolg ihrer Stofftier Figur Maromi leidet. Nicht nur, dass ihre Mitarbeiterinnen hinter ihrem Rücken voller Neid über sie lästern, Sagi hat immensen Druck ein neues Model zu kreieren, das den enormen Erfolg des Vorgängers wiederholen kann. Auf dem Heimweg nach der Arbeit beginnt es dann. Im Dunkeln der Nacht fühlt sich Tsukiko Sagi beobachtet und verfolgt. Sie wird panisch und stürzt. Als sie sich umdreht erblickt sie die Silhouette eines Jungen auf Rollerblades, der sie mit einem Baseballschläger niederstreckt.

Der Mythos rund um den goldenen Verbrecher Shōnen Bat lebt! Während sich die Presse auf den mysteriösen Angreifer stürzt, wollen es die Polizisten Keiichi Ikari und Mitsuhiro Maniwa sachlich angehen. Doch immer mehr Leute werden Opfer des Schlägers und eine seltsame Verbindung zwischen den Opfern scheint sich zu entwickeln. Alle fragen sich: Wer ist Shōnen Bat? Oder besser gesagt: Welche Botschaft steckt hinter den Taten von Shōnen Bat?

Die Idee hinter diesem verschwörerischen Thriller stammt aus der Feder des 2010 verstorbenen japanischen Drehbuchautors und Filmregisseurs Satoshi Kon, der dank Werken wie Paprika (2006) und Tokyo Godfathers (2003) zu den wichtigsten Animationsfilmkünstlern unserer Zeit zählt. Seinen Einfluss erkennt man in dem Werk auch in jeder Folge. Ebenso erkennt man den Zeichenstil des Studios Madhouse, der unverkennbar an Summer Wars (2009) oder Das Mädchen, das durch die Zeit sprang (2006) erinnert. Schlichte Figuren erwachen in einer detailreichen Landschaft zum Leben. Und auch trotz der teils simpel gezeichneten Gestiken und Mimiken schafft es die Serie durch und durch starke Emotionen zu vermitteln.

Ein erstes Treffen mit den wichtigsten Charakteren der Serie gibt es bereits im Intro, welches durch seine hypnotisierenden Bilder und den Jodel-ähnlichen Gesang den Zuschauer direkt in seinen Bann zieht. Anschließend nimmt sich die Serie ausgiebig Zeit um seine „Helden“ vorzustellen. Aber nicht nur die Figuren bilden den Fokus einer Episode, auch bekannte Probleme werden thematisiert, was sich im Laufe der Serie immer mehr zu einem Hauptaspekt entwickelt. So beginnt Paranoia Agent, wie bereits geschrieben, mit der Vorstellung der Designerin Tsukiko Sagi, die unter Erfolgsdruck leidet.

In der zweiten Episode widmet sich die Serie dann völlig neuen Figuren und einem anderen Setting. Der Schüler Yūichi Taira, beliebt bei Mitschülern und Eltern, tritt die Wahl zum Schülersprecher an. Doch ein dicklicher Konkurrent stellt sich ihm in den Weg und rüttelt an seinem alleinigen Thron. Und dann wird er auch noch verdächtigt, der mittlerweile legendäre Shōnen Bat zu sein! Eine Mischung aus Mobbing, Jugendgewalt und Schuldruck lassen grüßen. Eine noch intensivere Vorstellung erwartet uns jedoch in Episode 3 mit der unter dissoziativer Identitätsstörung leidenden Chōno Harumi. Diese führt am Tage ein Leben als graue Büromaus und verwandelt sich in der Nacht zur Prostituierten Maria, die es überhaupt nicht leiden kann, dass ihre bessere Hälfte plant zu heiraten und ihr düsteres Leben hinter sich lassen will.

Spätestens nach dieser Folge weiß der Zuschauer, was einen mit Paranoia Agent erwartet. Und auch die brennenden Fragen rund um den goldenen Jungen mit dem Baseballschläger verfolgen einen, während der seichte Abspann dahin flimmert. Die Spannung ist zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Level eines exzellenten David Fincher Werkes angekommen und man sehnt Fingernägel kauend die Auflösung der gesamten Geschichte herbei.

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Während auch die vierte Episode noch diesem Schema treu bleibt und eine fesselnde Handlung über Korruption innerhalb der Polizei und die Träume des einfachen Mannes behandelt, kommt es dann in Folge 6 zu einem gravierenden Stilbruch. Im weiteren Verlauf entfernt sich die Serie immer mehr von seiner geradlinigen Handlung und es werden vermehrt Rollenspiel-Elemente, bizarre Fluchtwelten und Rückblenden eingewoben.

Des Weiteren arbeitet Paranoia Agent zum Ende hin zu Teilen mit Lückenfüller-Episoden, die den Mythos rund um Shōnen Bat weiter verdichten sollen. Auch wenn dies die eigentliche Geschichte etwas bremst, gibt es noch eine mehr als unterhaltsame Folge, die mit dem Thema Selbstmord in bester The Sixth Sense-Manier umgeht und dabei eine deftige Portion schwarzen Humor zu bieten hat. Anschließend nähert sich das große Finale und ob man mit dem Ausgang und der Auslösung zufrieden sein wird, lassen wir an dieser Stelle einfach einmal offen.

Auf jeden Fall aber wird der Zuschauer in Paranoia Agent mit zahlreichen gesellschaftlichen Problemen und deren daraus resultierenden Folgen konfrontiert. Jeder wird die Probleme schon einmal in irgendeiner Form wahrgenommen haben und hinter Shōnen Bat, so viel sei an dieser Stelle verraten, steckt noch viel mehr als die bloße Gewalttat eines Jugendlichen.

2016 wurde von KAZÉ eine Jubiläums-Box zum 10. Geburtstag der Serie veröffentlicht, welche neben den 13. Episoden in kräftigen, natürlichen Farben und guter Schärfe auch 8 Postkarten, ein Poster und einen Episodenguide beinhaltet. Die einzelnen Episoden sind in den Sprachen Deutsch und Japanisch mit Untertiteln verfügbar. Die deutsche Synchronfassung wurde zudem qualitativ hochwertig ausgeführt und unterstützt die düstere Atmosphäre der Serie hervorragend. Einziges Manko der Box ist, dass es keine Untertitel für die vielen japanischen Schriften gibt, die innerhalb der Serie auftreten und oftmals nicht unwichtig für die Handlung sind. Dies kann dieser packenden Serie jedoch keinen allzu großen Schaden zufügen und mindert den Sehspaß nur gering.

Idee: Satoshi Kon
Studio: Madhouse
Episoden: 13
Spieldauer: 325 Minuten, 25 Minuten je Episode

Handlung:

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Bildrechte: FUNimation Entertainment

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