Kind 44 (2015) | Filmkritik

Kind 44

Moskau, 1953: Der Waisenjunge Leo Demidow (Tom Hardy) hat es als Erwachsener weit gebracht. Aus dem Zweiten Weltkrieg kehrte er als Held zurück und ist inzwischen linientreuer Geheimdienstoffizier der sowjetischen Staatssicherheitsbehörde KGB, bei der er kompromisslose Jagd auf Regimefeinde macht.

Nach dem gleichnamigen Bestseller

Er hinterfragt seine Aufträge nicht und fühlt sich an keine Moral gebunden, die nicht durch die Partei vorgegeben ist.

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Als er den Tierarzt Anatoli Brodsky (Jason Clarke) festnimmt, der im Hinterland Unterschlupf bei einem befreundeten Paar gefunden hat, dreht Leos linkischer Kollege Wassili (Joel Kinnaman) durch und richtet Brodskys Helfer vor den Augen ihrer beiden Kinder hin. Unter Folter spuckt der Verhaftete später sieben weitere Namen von Personen aus, die ihm bei seiner angeblichen Verschwörung geholfen haben sollen. Darunter ist auch der von Leos Frau Raisa (Noomi Rapace). Generalmajor Kuzmin (Vincent Cassel) beauftragt ausgerechnet Leo selbst, den heiklen Verdacht zu untersuchen.

Währenddessen sorgt der Fall eines tot auf Bahngleisen gefundenen Jungen für weitere Unruhe. Alexei Andrejew (Fares Fares), der Vater des Kindes und gleichzeitig MGB-Mitarbeiter, weiß, dass sein Sohn ermordet wurde. Aber die Verantwortlichen stellen den Vorfall als tragischen Unfall hin: Mord darf es in der sowjetischen Gesellschaft schlicht nicht geben. Nach und nach beginnt Demidows Weltbild zu wanken.

Wer war Andrei Romanowitsch Tschikatilo?

Als ein weiteres Kind ermordet wird stellt Leo eigene Nachforschungen an und gerät so in das Visier seiner Vorgesetzten. Er weckt das Misstrauen des Milizenführers Nesterow (Gary Oldman) und wird mit seiner Frau Raisa ins provinzielle Exil geschickt, wo die beiden in einem heruntergekommenen Loch hausen müssen. Der verbannte und kaltgestellte Geheimdienstoffizier nimmt gegen alle Widerstände die Jagd nach dem Killer auf.

Lose Grundlage für Kind 44 (Originaltitel: Child 44) bilden die wahren Ereignisse des ukrainisch-russischen Serienkillers Andrei Romanowitsch Tschikatilo, der zwischen 1978 und 1990 nach eigenen Angaben 56 Menschen ermordete, darunter zahlreiche Kinder. Der britische Schriftsteller Tom Rob Smith verlegte die Handlung in die Zeit von Stalins Herrschaft und veröffentlichte 2008 mit Kind 44 seinen Debütroman, welcher nun durch Daniél Espinosa (Safe House) in die Kinos gebracht wird.

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Zum sorgfältig ausgewählten Cast gehören Tom Hardy (Inception, Mad Max: Fury Road), Gary Oldman (Dame, König, As, Spion), Noomi Rapace (Verblendung) und weitere namhafte Darsteller wie Joel Kinnaman (Easy Money), Paddy Considine (The Worlds End), Jason Clarke (Zero Dark Thirty) und Vincent Cassel (Black Swan). Tom Hardy und Gary Oldman spielen in Kind 44 zum vierten Mal Seite an Seite.

Die Besetzung des Films

Sie standen bereits für Dame, König, As, Spion, Lawless – Die Gesetzlosen und The Dark Knight Rises gemeinsam vor der Kamera und bilden auch in Kind 44 ein befeindetes Gespann, das der Erzählung Würze verleiht. Das Wechselbad der Gefühle aus Härte, Angst und Angreifbarkeit kann Tom Hardy überzeugend verkörpern. Seine Rolle ist die einzige Figur, die nachvollziehbar ausgearbeitet wird.

Auch über Gary Oldmans Antrieb als Demidows Feind und später Mithelfer Nesterow erhält man einige Informationen. Hintergründe zu den restlichen Darstellern bleiben aber vollständig im Dunkeln und auch ein wenig mehr Klarheit über Noomie Rapaces Charakter und deren Vergangenheit geht in ihrer Rolle als geheimnisvolle Vielleicht-Spionin in Spekulationen unter.

Das Drehbuch zum Film wurde von Richard Price (Kopfgeld) geschrieben und schaffte es 2008 auf die sogenannte Blacklist, eine Liste besonders vielversprechender, noch unverfilmter Drehbücher. Der Drehbuchautor bleibt der Romanvorlage jedoch keineswegs treu. Anders als im Buch steht der Filmtäter nicht mehr im Zentrum der Handlung. Mit einer äußerst geringen Leinwandpräsenz wird er zu einer Nebenfigur, dessen Motivation zum Morden im Verborgenen bleibt. Auch Smiths bestürzende Anfangsszene im russischen Hungerwinter 1933 fällt aus und enthält den Zuschauern ein spannendes Filmmoment vor. Und das hätte der Film gebraucht, da er über zu wenige Actionszenen verfügt, welche die erzählerischen Schwächen hätten ausgleichen könnten. Noch dazu sind die Aufnahmen dieser Szenen durch verwackelte Handkameras übertrieben und wirken aufgesetzt.

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In einem Interview sagte der Buchautor, für ihn sei „eine der Hauptfiguren des Romans das sowjetische Russland, eine ungeheuerliche Mischung aus Horror und Absurdität“. Immerhin diese Hauptrolle wurde im Film würdig umgesetzt. Düstere Bilder und schmutzige Straßen vor einer winterlich kalten Kulisse verleihen dem Film eine authentische Atmosphäre der stalinistischen Nachkriegszeit. Verfolgung, permanente Angst und Bedrohung sind durchweg spürbar.

Der Schein einer klassenlosen Gesellschaft, in der es keine Verbrechen gibt, wird von einer gnadenlosen Geheimdienstmaschinerie gewahrt. Wer aber einmal in die Fänge des Systems gerät, hat keine Chance mehr: „Wer verfolgt wird, wird verhaftet. Und wer verhaftet wird, ist bereits schuldig“, sagt der Tierarzt Anatoli Brodsky (Jason Clarke), der in die Fänge der Häscher gerät.

Russland sauer über die Darstelleung

Dass etwas das Leben der Protagonisten trübt, wird bereits zu Beginn der Handlung deutlich, als Leo im Kreise seiner Freunde von Raisa schwärmt, ihr Lächeln jedoch gestellt wirkt. Die Stimmung aus Terror, Verrat und Ausweglosigkeit in markanten Bildern einzufangen, ist Espinosa gelungen. Etwas mehr Spannung hätte der schwedische Regisseur seinem Film aber geben müssen, vor allem bei der Jagd nach dem Kindsmörder. Der Titel Kind 44 scheint vielleicht für den Roman, jedoch nicht für die Filmadaption logisch. Denn im Vordergrund stehen hier die Spannungen zwischen den beiden Protagonisten und deren Verfolgung durch das sowjetische Regime. Die Mordserie wird zu einem Beiwerk, ohne das die Handlung auch ausgekommen wäre.

Die Darstellung der 50er Jahre in der Sowjetunion kam in Russland gar nicht gut an. Wegen „Entstellung historischer Tatsachen“ wurde die Veröffentlichung des Dramas vom russischen Kultusministerium verboten. Der Film sei „untragbar“ und die Stalin-Ära komme zu schlecht weg, lautete die Begründung. In Deutschland hingegen erhielt Kind 44 das Prädikat „besonders wertvoll“, da der Film ein „wichtiger gesellschaftskritischer Film, der aufklärt über eine Zeit, in der ein System sich über alles stellte. Sogar über die Wahrheit.“ sei, so die Deutsche Film- und Medienbewertung.

Aus Tom Rob Smiths durchaus packend geschriebenem Bestseller Kind 44 wird ein mittelmäßiger Thriller, der immerhin mit stimmigen Bildern und einem überzeugenden Tom Hardy in der Hauptrolle punktet. Dabei bleibt auch die eigentliche Haupthandlung der 44 ermordeten Kinder auf der Strecke und muss einem durchwachsenen Katz- und Mausspiel ohne Überraschungen weichen.

Regie: Daniél Espinosa
Drehbuch: Richard Price
Musik: Jon Ekstrand
Darsteller: Tom Hardy, Joel Kinnaman, Noomi Rapace Gary Oldman, Vincent Cassel, Charles Dance, Jason Clarke

Handlung:

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