Feuchtgebiete (2013) | Filmkritik

Feuchtgebiete

„Jeder Mensch braucht Hobbys. Bei mir ist es neben Ficken, Avocadobäume züchten.“ Ebenso unverblümt wie die 18-jährige Schülerin Helen Memel (Carla Juri) spricht, sind auch ihre übrigen Interessen nicht weniger anrüchig. Denn diese haben alle mehr oder weniger mit mangelnder Hygiene und Körperflüssigkeiten zu tun.

Helen provoziert andere Menschen, indem sie ungeniert äußert, was diese sich nicht einmal in Gedanken ausmalen. Mal masturbiert sie genüsslich mit Gemüse, mal tauscht sie benutzte Tampons mit ihrer besten Freundin…

Nach einer missglückten Intimrasur landet sie schließlich auf der proktologischen Abteilung eines Krankenhauses und wartet auf ihre Operation, die sie von ihrer Analfissur und ihren Hämorrhoiden befreien soll. Neben ihren außergewöhnlichen Interessen, sehnt sich Helen jedoch im tiefsten Inneren nach einer intakten Familie. Sie hofft, durch ihren Krankenhausaufenthalt ihre getrennten Eltern (Meret Becker und Axel Milberg) wieder zusammenführen zu können und versucht deshalb, den Besuch in die Länge zu ziehen.

Währenddessen erzählt sie von ihren ersten Erfahrungen mit Sex und spricht allerlei Tabuthemen an. Dabei ist Helen auch sehr angetan von ihrem Krankenpfleger Robin (Christoph Letkowski), den sie mit ihrer provokanten Art schon bald um den Finger wickelt. Wenn da seine fiese Exfreundin und Kollegin Valerie nicht wäre…

Wie sagt Helen so schön: „Wenn man Schwänze, Sperma und andere Körperflüssigkeiten ekelhaft findet, kann man es mit dem Sex auch direkt bleiben lassen.“ Und genauso ist es auch bei diesem Film. Wer nicht wenigstens Gefallen am Buch gefunden hat oder starke Neugierde für die Grenzen seines eigenen Würgereizes besitzt, sollte diesem Film dringend fern bleiben.

Feuchtgebiete basiert auf dem gleichnamigen Roman von Charlotte Roche, der bei seiner Veröffentlichung im Jahr 2008 einen Skandal auslöste und zum Bestseller des Jahres ernannt wurde. Dass 70% des Romans autobiographisch sein sollen, sei einmal dahingestellt. Doch Roches Meinung nach sollten Frauen freimütiger mit sich und ihrer Sexualität umgehen und sich auch mit peinlichen Angelegenheiten offen auseinandersetzen.

Was Charlotte Roche ungeniert in ihrem Buch ausspricht, wird in diesem Film nun in Bildern festgehalten. Wo sich bei so manchen Zuschauern schon bei den Wörtern Fäkalien, Kotze oder Menstruationsblut die Nackenhaare aufstellen, hält die Kamera hier nun direkt drauf.

Zentrale Kulisse des Films ist das Krankenhaus, in dem die Protagonistin für den Pfleger Robin schwärmt und sich sowohl an erotische Erfahrungen, gesundheitlich bedenkliche Vorlieben als auch traumatische Erlebnisse erinnert. Sympathie versprüht Helen auf alle Fälle. Hobbys wie Snowboarden, Kino oder ein Instrument spielen wären ja auch viel zu eintönig. Viel lieber onaniert sie mit Gemüse und präferiert Drogen oder Prostituierte. Ihre kindliche Erzählweise ist dabei herrlich amüsant und legt die nötige Portion Ironie auf den gesamten Film.

Die zweifache Schweizer Filmpreisträgerin Carla Juri ist für den Film ein ebenso ein Glücksgriff wie Regisseur David Wnendt. Juri stellt Charlotte Roches Heldin in ihrer Gegensätzlichkeit ebenso überzeugend dar wie in ihrer Verletzlichkeit und Sensibilität.

Mit seiner frischen und beschwingten Erzählweise gelingt David F. Wnendt, der für sein Kinodebüt Kriegerin 2012 gleich mit drei Deutschen Filmpreisen ausgezeichnet wurde, eine gerechte Adaption des polarisierenden Romans. Der Buchvorlage bleibt er meistens treu. Dennoch nutzt er genügend filmische Freiheiten, um nicht nur einen ekelhaften und abstoßenden Film auf die Leinwand zu bringen, sondern einen durchaus berührenden Film zu zeigen: Denn auch auf Helen lasten Schatten der Vergangenheit und eigentlich sucht auch sie nur nach einem festen Platz im Leben.

Den Film auf diese Weise zu betrachten mag sich für die meisten Zuschauer dennoch schwierig gestalten, denn die Fülle an Ekelhaftigkeiten erlaubt kaum eine Verschnaufpause. Sofern man sich versucht auf die Handlung und das innere Wesen Helens zu konzentrieren, kommt schon das nächste Intimdebakel um die Ecke. Und man muss schon hart gesonnen sein, um bei diesem Film nicht mehrmals das Gesicht zu verziehen.

Rein filmtechnisch ist Feuchtgebiete also absolut gelungen. Er überzeugt mit einer talentierten Protagonistin und gekonnter Regie. Wie im Buch wird kein Blatt vor den Mund genommen und Grenzen werden bewusst überschritten. Richtige Lacher gibt es im Film zwar keine, aber dafür einen reichlichen Mix aus verlegenes Grinsen, munterem Gelächter und geschocktem Atemholen.

Aber mal ehrlich, es gibt niemanden, der aus Versehen in Feuchtgebiete landet. Und wer ein bisschen was abkann, wird sich nicht den ganzen Film über mit Händen vor dem Gesicht in den Kinosessel drücken, sondern sich über ein direktes, tabuloses und amüsantes Kinoerlebnis freuen können. Für Hygienefanatiker ist und bleibt es jedoch ein uneingeschränkter Härtetest!

2011 veröffentlichte Charlotte Roche ihren zweiten Roman Schoßgebete, der demnächst von Sönke Wortmann als Film realisiert werden soll.

Regie: David F. Wnendt
Drehbuch: Claus Falkenberg, David F. Wnendt
Musik: Enis Rotthoff
Darsteller: Carla Juri, Axel Milberg, Meret Becker, Christoph Letkowski, Marlen Kruse, Peri Baumeister

Handlung:

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