WALL·E – Der Letzte räumt die Erde auf (2008) | Filmkritik

Wer nach einer schweifenden Party schon einmal beim Aufräumen von seinen Freunden im Stich gelassen wurde, der wird sich ungefähr vorstellen können, wie sich der kleine Roboter Wall·E fühlt.

Irgendwann in der Zukunft… Die Menschen haben den Planeten Erde schon längst verlassen. Wundert auch nicht, denn die von ihnen produzierten Müllberge waren nicht nur für die Mietpreise pures Gift. Erfinderisch wie der Meister der Werkzeuge aber ist, hatte man Aufräumroboter gebaut und dazu programmiert, den Saustall Erde zu entrümpeln. Jahrhunderte nach Abflug der Menschheit ist aber mittlerweile nur noch ein einziger von ihnen übrig: Wall·E.

In der jahrelangen Isolation entwickelte der fleißige Roboter etwas unvorhergesehenes, nämlich Persönlichkeit. Die Zeiten, in denen er nur funktionierte, sind schon lange vorbei und so ist sein Unterschlupf, ein Container, mittlerweile bis an die Decke mit persönlichen Fundstücken gefüllt. Seine Aufgabe erfüllt er nach wie vor pflichtbewusst, lässt es sich aber nicht nehmen, ab und an etwas Neues zu entdecken. Für seine Instandhaltung sorgt der putzige Roboter schon längst selbst und schöpft dabei aus dem Fundus längst kaputter Kollegen. Nur eine Kakerlake begleitet ihn. Er hat sogar einen Lieblingsfilm, „Hello, Dolly“, dessen Geschichte ihn einfach nicht loslässt.

Eines schönen Tages landet mit unglaublichem Krach ein unbekanntes Flugobjekt auf der Erde. Als Wall·E sieht, was es zum Vorschein bringt, traut er seinen Augen kaum. Eine blütenweiße, höchst temperamentvolle Aufklärungsdrone. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Wie sich schnell herausstellt mehr für Wall·E als für den Roboter, der sich als EVE vorstellt. Doch Wall·E gibt nicht auf. Schließlich brachte ihn seine Ausdauer auch durch etliche Jahre stupider Aufräumarbeit und da wäre es doch gelacht, wenn er EVE so einfach aufgäbe. Um eine Dame zu beeindrucken, hat er auch lange an seinen Stücken gesammelt.

So erkämpft er tapfer jedes Stück Aufmerksamkeit, das er von EVE bekommen kann. Was schließlich ein kleiner Sämling, Katatonie und eine unglaublich weite Reise mit der Zukunft der Erde zu tun hat oder was kleine Putzroboter und verflucht träge Menschen für eine Rolle spielen werden, erahnt der frisch verliebte Wall·E nicht einmal im Traum.

WALL·E kommt aus dem Hause Pixar Animation Studios, ist 98 Minuten lang und in der Filmographie das neunte Werk. Regisseur war Andrew Stanton, der sich zuvor mit Findet Nemo und als Co-Regisseur von Das große Krabbeln einen Namen machte. Mit Pete Docter (ein Regisseur von Die Moster AG) schrieb er das Drehbuch, mit Jim Reardon (unter anderem Ralph reicht’s) das Screenplay.

Stehende Ovationen verdient WALL·E vor allem für seine Soundeffekte. Ein großer Teil der Handlung wird ohne ein einziges gesprochenes Wort erzählt und der grandiose Erfolg dieses riskanten Unterfangens ist den herrlichen Tönen des verantwortlichen Sound Departments zu verdanken. Besonders zu erwähnen ist hier Ben Burtt, der bereits für die einprägsame Geräuschkulisse des Star Wars-Universums Lob einheimsen durfte.

Dass der Ton von WALL·E „nur“ mit zwei einschlägigen Preisen gekürt wurde, erscheint nahezu unverständlich. Zwar hagelte es durchaus mehrere Nominierungen in den Ton-Kategorien, meist aber für den (nicht minder bombastischen) Soundtrack von Thomas Newman, der übrigens auch für Skyfall komponierte.

Neben den vor allem elektronisch erzeugten Stimmen und Geräuschen vergisst man fast, auf die Liste der Sprecher zu schauen. Zugegeben, so wirklich Relevantes ist für den Film nicht dabei. Außer vielleicht ein nahezu selbstironisches Schmankerl für „besehene“ und eingefleischte Science Fiction Fans (in der Originalfassung): Sigourney Weaver beweist Humor und leiht ihre Stimme einem Bordcomputer. Die deutsche Synchro fällt da deutlich magerer aus. Joachim Kretzel spricht den Autopiloten, als etablierte Stimme von Jack Nicholson, Dustin Hoffman und Anthony Hopkins vermutlich die Stimme mit dem meisten Wiedererkennungswert. Der Kommandant wird tatsächlich von Markus Maria Profitlich gesprochen, was man aber nicht bemerkt, wenn man es nicht weiß. Da der Fokus aber weniger auf den menschlichen Charakteren liegt, ist das ehrlich gesagt keinen Aufreger wert.

Das Design der Roboter ist eine Klasse für sich. Bei Wall·E schaffte man es mit intelligenter Komposition hundsgewöhnlicher Mechanismen eine erstaunlich facettenreiche Körpersprache und Mimik zu realisieren. Die Ausdrucksmöglichkeiten, die man dadurch erreichen konnte, sind enorm, wenn man bedenkt, dass seine Emotionen fast allein durch den Winkel seiner Objektive und die Bewegungen der darin eingebetteten Linsen dargestellt werden. Wie einfach Wall·E aufgebaut ist, zeigt sich auch daran, dass man auf Youtube reale Nachbauten bewundern kann.

Neben dem durchschaubaren Mechanismus von Wall·E stellt die im Grunde nahtlose EVE einen faszinierenden Kontrast dar. Nur sehr wenig wird über ihren Aufbau verraten. Wer das Gefühl einfach nicht los wird, dieses Design nur allzu gut zu kennen, der soll an dieser Stelle nicht enttäuscht werden. Jonathan Ive, verantwortlich für EVE’s Design, steht als Senior Vice President of Industrial Design auf der Gehaltsliste von Apple.

Die Story von WALL·E ist vor allem eines: vielschichtig. Es wäre schwierig sie auf wenige Stichwörter festzunageln, dafür verblendet sie einfach zu viel Aspekte. Alleine die Palette des Humors reicht von albern bis zynisch. Die Geschichte will erzählen, will mitgefühlt werden, will aufzeigen und vermitteln, will appellieren, will auch ein bisschen Fragen. Eindringlich aber nicht penetrant verpackt er auch äußerst unbequeme Themen gut und kann alle Spitzen, in welche Richtung sie auch gehen mögen, abfangen und ausgleichen.

Bildtechnisch sei darauf hingewiesen, dass Regisseur Andrew Stanton den Eindruck einer „gefilmten“ Animation – im Gegensatz zu einer herkömmlichen Animation – durch die Nachahmung verschiedener Kameralinsen erzielte. Das fällt vor allem am Anfang des Filmes sehr stark auf. Die Fokussierung der Linsen wird als direktes Stilmittel genutzt und vermeidet damit vor allem die Computerspieloptik, die durch die vollkommene Schärfentiefe so gerne entsteht. Die Geschichte bekommt dadurch ein „echteres“ Gefühl und mehr Glaubhaftigkeit.

In der Gamerszene wird WALL·E übrigens gerne mit dem Spiel „Minecraft“ in Verbindung gesetzt. Das Hauptmerkmal dieser Überlebenssimulation ist, neben fast unendlichen Weiterverarbeitungsmöglichkeiten von Rohstoffen, die äußerst kreative Bauwut ihrer Spieler, und dass alle Rohstoffe ausschließlich in Würfelform auftreten. Der Vergleich ist also nicht aus der Luft gegriffen. Neben dem Oscar und dem Golden Globe als Bester Animationsfilm heimste er noch viele, viele weitere wohlverdiente Preise ein. Zusammen mit Ratatouille ist er einer der besten Animationsfilme, den Pixar bisher realisierte. Es stimmt so vieles, dass man nahezu von Perfektion sprechen möchte und der Film hat so viele Nuancen, dass man ihn immer wieder schauen kann.

Er gewinnt wahrscheinlich nicht unbedingt den Titel als „Film einer Kindheit“, bleibt aber auf jeden Fall in Erinnerung. Vielleicht bei der älteren Generation sogar mehr als bei den Jungen. WALL·E ist großartig, sehenswert, liebevoll, drollig, ernst, verspielt, romantisch, lustig, traurig, hoffend. Er ist so vieles, dass eine Rezension dazu eigentlich viel zu wenig Raum bietet.

Regie: Andrew Stanton
Drehbuch: Andrew Stanton, Jim Reardon
Musik: Thomas Newman
Stimmen: Ben Burtt, Elissa Knight, Jeff Garlin, Fred Willard, John Ratzenberger, Kathy Najimy, Sigourney Weaver, MacInTalk

Bildrechte: Walt Disney Studios

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